Freitag, 13. April 2007

„Haben Sie schon einmal geerbt ...?“

Er schaute uns über den Rand der Brille an. Irgendwie verständnislos schüttelte ich den Kopf.
„Und Sie sind sich ganz sicher, dass nirgendwo noch eine Kiste mit Geld oder Schmuck versteckt ist …?“ Wieder meine eindeutig verneinende Kopfbewegung.
„Dann werde ich das Dokument jetzt siegeln und ihnen eine Quittung ausstellen.“

Als ich das Dokument an diesem düsteren Tag im April 1993 entgegen nahm, hatte ich weder Tränen, noch Wut oder Trauer in mir. Das Schriftstück bescheinigte lediglich, dass ich zu den ganzen Erinnerungen an meinen Vater nun auch seine materielle Hinterlassenschaft ablehnte.

Anderen gegenüber, besonders Kindern, war er ein ausgesprochen sympathischer Blender. Immer freundlich, zuvorkommend und zu einem Scherz aufgelegt. Im häuslichen Kreis aber … Zugegeben, er hatte es nicht leicht, seit meine Mutter 1969 verstorben war ( der ältere Halbbruder verließ damals sofort das Haus, meine Schwester war 8 und ich 13 Jahre alt ). Aber seine väterlichen Erziehungsmaßnahmen und Ansichten waren mehr als streng und noch heute trage ich ihm sein unangemessenes Verhalten nach.

Ich spielte bis zum 31.12.1974 die letzte Geige in diesem Familienorchester. An diesem Tag wurde ich volljährig und auf die Frage meine Vaters, als ich mit einem kleinen Beutel Wäsche und meinen Schulunterlagen an der Tür stand, ob ich denn noch einmal wiederkommen würde, antwortete ich: „Das glaubst Du doch wohl nicht wirklich?“

Im Sommer 1979 verschwand meine Schwester. Sie hatte schon seit längerer Zeit die Schule geschwänzte, und als es nun das Abschlusszeugnis geben sollte, ging sie eines Morgens aus dem Haus. Von diesem Tag an stand ich – bis sie ein Jahr später hochschwanger wieder bei ihm einzog – ganz hoch im Kurs. Schwesterherz wurde von ihm mit offenen Armen empfangen, er zahlte alle Strafen und Schulden, vertuschte Scheckbetrügereien und Unterschriftenfälschungen und fragte nicht nach dem Vater des ungeborenen Kindes. Ich war wieder in die letzte Reihe seiner Gunst gefallen.

Wenige Monate später heiratete sie und bezog eine Wohnung in der Nebenstraße. Sie lebte gut vom Sozialamt und Vaters Unterstützung. Sie sahen sich täglich, ich musste mich selbst darum kümmern, ihn hin und wieder einmal ans Telefon zu bekommen.

1992 erkrankte er an Krebs. Sein Herzleiden hatte ihm eine frühzeitige Rente beschert, aber mit dem Krebs hatte keiner gerechnet. Und voilá – ich war wieder geduldet. Ich durfte Einkaufen gehen, besorgte eine Pflegekraft, sollte ihn besuchen. Später stellte sich heraus, dass meine Schwester sich vom Amt für Soziale Dienste schon seit einiger Zeit für „das Führen des Haushalts des Erkrankten“ bezahlen ließ. Für die kulinarische Versorgung ihrer nun fünfköpfigen Familie bediente sie sich fleißig aus dem Portemonnaie unseres Vaters und achtete darauf, dass rechtzeitig das Geld für ihr Telefon und Strom für ihre Wohnung von seinem Konto überwiesen wurde. Zudem nahm sie sich ein paar Schecks, die sie selbst ausfüllte und unterschrieb. Ob unser alter Herr etwas davon ahnte oder nicht, kann man heute gar nicht sagen. Ich denke, er wusste es.

Sie saß mit den Kindern jeden Tag bei ihm herum und ließ es sich gut gehen, was später von einem nicht ganz nahen Angehörigen als „aufopferungsvolle Pflege“ bezeichnet wurde. Als eine Nachtschwester zur Pflege hinzugezogen werden sollte, forderte man mich auf, mich an den Kosten zu beteiligen. Mein Gegenargument, dass die Rente gut und gerne ausreichen würde, wenn „er“ nicht mehr meine Schwester unterstützen würde, wurde als Frechheit abgetan. Wie ich so etwas sagen könne, das schwächste Glied muss gestützt werden, und es wäre meine Pflicht … Diesen Spruch hörte ich nach seinem Tod noch einmal von dieser Familienseite, als man mich aufforderte, das Erbe zu übernehmen und meine Schwester zu unterstützen. Ich lehnte dankend aber energisch ab.

Vater verstarb im März 1993. Meine Schwester rief mich an, ich fuhr hin und wurde dann auch gleich gebeten, die Formalitäten zu regeln. Ich unterschrieb beim Beerdigungsinstitut und machte die entsprechenden Gänge.

Am Tag danach kam ich in die Wohnung: die Waschmaschine war verschenkt, der Fernseher ( den ich ihm zusammen mit meiner Tante vor knapp einem Jahr geschenkt hatte ) war bereits verkauft, Schränke waren offen. Ich nahm die Kontoauszüge, ging zur Bank – das Konto war leer.

In kürzester Zeit räumte meine Schwester alle verwertbaren Dinge aus der Wohnung, ohne dass ich sie hätte darauf ansprechen können. Es kamen diverse Forderungen ( u.a. waren seit zwei Monaten die Kosten für die Krankenpflege nicht überwiesen worden, obwohl die Zahlungen vom Amt für Soziale Dienste eingegangne waren ), man präsentierte mir die Rechnung für Beerdigung, Wohnungsrenovierung, ich entdeckte ihre Unterschriftenfälschung auf den Schecks …

Ich lehnte das Erbe ab, nachdem ich die Beerdigung bezahlt hatte. Trotzdem ich ihnen von den Machenschaften meiner Schwester erzählte, deckten mich meine Verwandten nun mit Sprüchen ein, wie „aufopferungsvolle Pflege“ und „schwächstes“ Glied“. Ich forderte meine Schwester auf, mir nie wieder unter die Augen zu treten. Und ich sagte zu, dass ich sie wegen der Vergehen nicht zur Anzeige bringen würde. Vorausgesetzt, sie bleibt mir und meiner Familie fern. Kurz darauf hörte ich, dass auch sie das Erbe offiziell abgelehnt hatte.

Sie hatte noch Kontakt zu unserer Tante, die sie und ihre Familie wohl hin und wieder ein wenig unterstützte. Ich sah sie auch im Fernsehen, als sie als Mietnomade mit ihrer Tochter eine wirklich tolle Show hinlegte. Dann schrieb sie mir vor ein paar Jahren einen Brief, in dem sie mich fragte, warum ich sie so hasse. Sie habe doch gar nichts getan …

Ich habe darauf nicht geantwortet.

*
Jetzt, wo ich diese Kurzfassung geschrieben habe, geht es mir keinen Deut besser. Auch nach diesen vielen Jahren nicht. Auslöser für diesen kurzen Abriss war, dass meine Schwiegermutter nun zum Vollpflegefall wird. Ich will einfach nicht, dass so etwas wieder passiert … Alle sagen, dass das „so“ ja auch gar nicht kommen muss. Darauf habe ich nur das Zitat des Anwalts:

„Haben Sie schon einmal geerbt?“

Was ich noch sagen wollte...

Ab und zu schreibe ich eine Geschichte, ein Gedicht oder sonst irgend einen Unsinn. Nicht alle meine Gedankenergüsse finden in diesen Seiten Einzug. Aber was ich hier einstelle, ist uneingschränkt von mir.


Manche Sachen sind eher lustig, mache sollen zum Nachdenken anregen und einige mögen auch ein wenig skurril daherkommen. Einige schreibe ich aus Langeweile, einige zum ver- und aufarbeiten meiner Gedanken. Einige Geschichten sind frei erfunden, andere geben, zumindest in Grundzügen, wahre Begebenheiten wider.


Aber alle sollen Spaß beim Lesen bereiten. Mir und auch anderen Lesern.Viel Spaß also beim durchstöbern und lesen meiner Schreibereien wünscht Euch Korinthe

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